Die Bedeutung der Landwirtschaft für Brasilien

Brasilien ist für seine atemberaubenden Landschaften, die Amazonas-Regenwälder und seine lebendige Kultur bekannt. Doch abseits dieser beeindruckenden Merkmale spielt die Landwirtschaft eine entscheidende Rolle in der brasilianischen Identität und Wirtschaft.
Brasilien Landwirtschaft
Ein Sojabohnenfeld in Brasilien ( paulobaqueta / Depositphotos.com )

Das Rückgrat der brasilianischen Wirtschaft

Die Zahlen sprechen für sich: Rund 22 bis 31 Prozent des brasilianischen Bruttoinlandsprodukts stammen aus der Landwirtschaft und dem damit verbundenen Agrobusiness.

Das ist nicht irgendein Wirtschaftszweig – es ist der Motor der brasilianischen Wirtschaft. Jeder dritte Arbeitsplatz im Land hängt direkt oder indirekt mit der Landwirtschaft zusammen, und 42 Prozent aller Exporterlöse fließen aus diesem Sektor.

Mit einem jährlichen Umsatz von etwa 150 Milliarden US-Dollar ist das brasilianische Agrobusiness ein echtes Schwergewicht. Und es geht weiter bergauf: Für 2025 wird eine Rekordernte erwartet, die Regierung hat den größten Ernteplan in der Geschichte des Landes aufgelegt. Satte 67,5 Milliarden Euro stehen für Kredite und Investitionen bereit.

Ein Land der Dimensionen

Die schiere Größe ist beeindruckend: Brasilien bewirtschaftet zwischen 223 und 248 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche – das entspricht etwa 28 Prozent der gesamten Landesfläche.

Um dir das besser vorstellen zu können: Das ist mehr als die Fläche von Deutschland, Frankreich und Spanien zusammen. Von dieser gigantischen Fläche werden 18,6 Prozent als Weideland genutzt, 8,6 Prozent für Getreide und jeweils rund ein Prozent für Zuckerrohr und Forstwirtschaft.

Die landwirtschaftlichen Hochburgen liegen vor allem im Süden und in den zentralen Cerrado-Gebieten – einer Savannenlandschaft, die in den letzten Jahrzehnten massiv erschlossen wurde.

Allein fünf Bundesstaaten (Bundesstaat São Paulo, Mato Grosso, Paraná, Minas Gerais und Rio Grande do Sul) erwirtschaften mehr als die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Produktion.

Das »weiße Gold« und andere Stars

Soja ist der unangefochtene Champion der brasilianischen Landwirtschaft. Brasilien ist weltweit der größte Sojaexporteur und erwartet für 2025 eine Rekordproduktion von 169 Millionen Tonnen auf 47,4 Millionen Hektar.

Der Hauptabnehmer? China – das allein 2020 mehr als 60 Millionen Tonnen brasilianischer Soja importierte. Auch die EU ist ein wichtiger Kunde mit 16,7 Millionen Tonnen, davon 1,3 Millionen nach Deutschland.

Doch Brasilien hat noch mehr zu bieten: Das Land ist der zweitgrößte Maisproduzent der Welt mit über 100 Millionen Tonnen, Weltmarktführer bei Zuckerrohr und der größte Kaffeeexporteur weltweit.

Dazu kommen 11,1 Millionen Tonnen Reis und 6,2 Millionen Tonnen Weizen – wobei Letzterer nicht ausreicht, weshalb zusätzlich aus Argentinien importiert werden muss.

Eine Nation der Viehzüchter

Die Zahlen der Viehwirtschaft sind schlichtweg gigantisch: 238,2 Millionen Rinder grasen auf brasilianischen Weiden – das sind rund 12 Prozent mehr als das Land Einwohner hat. Und dann gibt es noch 1,6 Milliarden Hühner – fast achtmal so viele, wie Menschen in Brasilien leben. Kein Wunder, dass das Land der weltgrößte Exporteur von Rind- und Geflügelfleisch ist.

Die Fleischproduktion konzentriert sich hauptsächlich auf die südlichen Bundesstaaten Paraná, Santa Catarina und Rio Grande do Sul.

Dort dominiert die sogenannte »integrierte Produktion« – ein Vertragssystem, bei dem die Bauern meist die wirtschaftlichen Risiken tragen, während große Konzerne die Vermarktung übernehmen.

Zwei Welten: Familienbetriebe gegen Agrarindustrie

Die brasilianische Landwirtschaft ist stark gespalten.

Auf der einen Seite stehen die Familienbetriebe: Sie machen 84,4 Prozent aller landwirtschaftlichen Betriebe aus, bewirtschaften aber nur 24,3 Prozent der Fläche.

Mit durchschnittlich 18,37 Hektar sind diese Höfe vergleichsweise winzig. Trotzdem produzieren sie 87 Prozent des Manioks, 77 Prozent der schwarzen Bohnen und 58 Prozent der Kuhmilch – also die Grundnahrungsmittel der brasilianischen Bevölkerung.

Auf der anderen Seite stehen die Großbetriebe: Nur 15,6 Prozent aller Betriebe kontrollieren satte 75,7 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche. Etwa 20.000 Betriebe verfügen über mehr als 2.000 Hektar.

Diese Riesen konzentrieren sich vor allem auf Exportmonokulturen wie Soja – und genau hier liegt eines der größten Probleme.

Innovation trifft auf Tradition

Brasilien setzt zunehmend auf moderne Agrartechnologie. Gentechnik wird pragmatisch als wirtschaftliche Entscheidung betrachtet, Smart-Farming-Lösungen wie Präzisionsbewässerung gewinnen an Bedeutung, und sogar satellitengestützte Bewässerungssysteme ohne Bodensensoren werden entwickelt.

Die Produktivität pro Hektar ist in den letzten 40 Jahren deutlich gestiegen – ein Zeichen dafür, dass Technologie durchaus Früchte trägt.

Die dunkle Seite des Erfolgs

Doch der Preis für diesen landwirtschaftlichen Boom ist hoch. In nur 38 Jahren gingen 96 Millionen Hektar einheimischer Vegetation verloren. Allein die Landwirtschaft vernichtete 58,6 Millionen Hektar Wald. Besonders dramatisch: 90 Prozent der abgeholzten Flächen im Amazonas Regenwald werden für Viehzucht genutzt.

Neue »Entwaldungsbögen« sind entstanden: Die Region »Amacro« (Amazonas–Rondônia–Acre) umfasst 5,3 Millionen Hektar landwirtschaftliche Fläche, und in »Matopiba« (Maranhão–Tocantins–Piauí–Bahia) werden bereits 25 Millionen Hektar agrarisch genutzt.

Die Landwirtschaft ist für rund 70 Prozent der Treibhausgasemissionen Brasiliens verantwortlich – und leidet gleichzeitig unter den Folgen des Klimawandels wie Dürren und Überschwemmungen.

Brasilien ernährt die Welt

Die Produkte der brasilianischen Landwirtschaft gehen in über 190 Länder. China und Hongkong nehmen 35,7 Prozent der Agrarexporte ab, die Europäische Union 14,9 Prozent.

Deutschland importiert jährlich etwa 10.000 Tonnen Rindfleisch und 21.000 Tonnen Geflügelfleisch aus Brasilien. Theoretisch könnte Brasilien mit seinem landwirtschaftlichen Potenzial rund eine Milliarde Menschen ernähren.

Die Herausforderungen der Zukunft

Trotz aller Erfolge steht die brasilianische Landwirtschaft vor großen Herausforderungen. Die Anbaugebiete liegen oft weit von den Exporthäfen entfernt, und die Infrastruktur ist vielerorts unzureichend. Die Regierung investiert deshalb massiv in Bewässerungsprojekte und Wasserwirtschaft.

Der internationale Druck im Hinblick auf Nachhaltigkeit wächst – besonders durch die EU-Verordnung gegen Entwaldung (EUDR). Brasilien muss beweisen, dass Agrarproduktion und Waldschutz Hand in Hand gehen können. Gleichzeitig steigen die Produktionskosten schneller als die Nahrungsmittelpreise, was die Margen schmälert.

Die große Frage bleibt: Kann Brasilien sein enormes Potenzial nachhaltig nutzen, ohne weiterhin Raubbau an der Natur zu betreiben? Die Antwort wird nicht nur für Brasilien selbst, sondern für die gesamte Welternährung entscheidend sein.

Wenn du das nächste Mal durch Brasilien reist und endlose Sojafelder oder riesige Rinderherden siehst, weißt du nun: Das ist nicht einfach nur Landwirtschaft – das ist ein globales System mit weitreichenden Konsequenzen.